Artikel 3 GG auf einer Galsscheibe am Jakob-Kaiser-HausSPD Berlin/Sebastian Thomas

Berliner Stimme 2|2020: Der real existierende Yeti

Rechtspopulismus und Frauen – das scheint erst einmal nicht zusammenzupassen. Und doch haben bei der vergangenen Bundestagswahl viele Frauen die AfD gewählt. Schaut man in Nachbarländer wie Frankreich oder Ungarn, zeigt sich ein ähnliches Bild: Immer mehr Frauen wählen rechtspopulistische Parteien und übernehmen Führungspositionen innerhalb dieser Vereinigungen. Bei der Frage nach dem Warum zeigt sich eins deutlich: Rechtspopulisten punkten vor allem in der Familienpolitik.

Sie ist vierfache Mutter, hat selbst ein Unternehmen gegründet und sitzt derzeit im Deutschen Bundestag – die 44-Jährige gehört keiner Fraktion an. Als Vollzeitpolitikerin schafft sie es, ihren Job und ihre Familie miteinander zu vereinbaren. Ihre Ex-Kollegin sitzt auch im Bundestag. Sie hingegen hat eine führende Position inne und lebt in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft.

Ganz grundsätzlich sind die Motive der Frauen und Männer, die AfD wählen, recht ähnlich.

Oliver Gaida

Mit ihren Lebensentwürfen stehen beiden Frauen im Widerspruch zum Grundsatzprogramm ihrer ehemaligen wie derzeitigen Partei. Dennoch war Frauke Petry Parteivorsitzende der AfD. Und Alice Weidel steht der momentan größten Oppositionspartei im Bundestag als Fraktionschefin vor.

Trotz dieses offenkundigen Widerspruchs wählen immer mehr Frauen die AfD – und das teilweise zweistellig: Bei der vergangenen Bundestagswahl waren es 17 Prozent in Ost- und acht Prozent in Westdeutschland. Angesichts antifeministischer und sexistischer Töne innerhalb der Partei stellt sich die Frage nach dem Warum.

Oliver Gaida, Vorsitzender des Berliner SPD-Fachausschusses ,Strategien gegen rechts‘, sieht in den Beweggründen von Männern und Frauen keinen Unterschied: „Ganz grundsätzlich sind die Motive der Frauen und Männer, die AfD wählen, recht ähnlich. Sie teilen mehrheitlich rassistische und autoritäre Einstellungen.“

Außerdem zeigen verschiedene Studien, wie die Mitte- oder die Leipziger Autoritarismus-Studie, „dass Männer und Frauen ähnlich stark verschiedenen Ideologien der Ungleichwertigkeit zustimmen“, bestätigt Bianca Klose, Projektleiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR).

Ängste beeinflussen Wahlentscheidung

„Für die Menschen ist das Thema Frauen und Rechtspopulismus in den vergangenen Jahren präsenter und relevanter geworden“, weiß sie von ihrer täglichen Arbeit zu berichten. Neben den gleichen Motiven spielen laut Oliver Gaida auch Ängste eine große Rolle für eine Wahlentscheidung zugunsten der AfD: „Es ist zum einen die Angst vor Zuwanderung und zum anderen die Angst vor dem sozialen Abstieg, der aus Sicht der AfD-Wählerinnen und -Wähler durch Globalisierung und durch den Wandel der Arbeitswelt droht.“

Doch nicht nur Ängste beeinflussen die Wahlentscheidung, sondern auch das zuständige Personal an der Spitze der jeweiligen Partei: Unter dem Titel „Triumph der Frauen?“ hat die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) Ende August 2018 eine Studie über Frauen in europäischen Parteien mit rechter Grundausrichtung veröffentlicht. In der Untersuchung wird deutlich, dass „Frauen oft das Gesicht von rechtspopulistischen Parteien sind“, erklärt Stefanie Elies, Referatsleiterin des Forums Politik und Gesellschaft der FES.

In rechtspopulistischen Parteien sind vorallem Männer an der Spitze

Diese Frauen „sind besonderes sichtbar in den sozialen Medien und geben zugeneigten Wählerinnen die Möglichkeit zur positiven Identifikation mit rechtspopulistischen Parteien.“ Ähnlich formuliert es Oliver Gaida: „Es fällt auf, dass in mehreren Ländern Frauen an der Spitze von rechtspopulistischen Parteien standen oder noch stehen.“

Neben der anfangs erwähnten AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel, nennt Oliver Gaida als weiteres prominentes Beispiel Marine le Pen, Chefin der von Beobachterinnen und Beobachtern als rechtsextrem eingestuften Partei Rassemblement National in Frankreich. Allerdings, so Stefanie Elies, dominieren in allen untersuchten Parteien nach wie vor Männer auf allen Ebenen.

Frauen lassen sich offenbar gut instrumentalisieren hinsichtlich eines Imagewandels für rechtspopulistische Parteien, haben aber selten große Wirkmacht in den Parteien

Stefanie Elies

Am Beispiel der AfD zeigt sich diese Tatsache sehr deutlich: Die Anteile von Frauen in den AfD-Fraktionen in Bundestag und Länderparlamenten sind durchgängig sehr niedrig, den größten Frauenanteil besitzt die Thüringer AfD-Fraktion mit 25 Prozent – jedoch erst, nachdem drei Männer die Fraktion verlassen haben.

Auch die Vorstände der AfD sind männerdominiert. Dabei findet sich der höchste Frauenanteil beim Landesvorstand der Berliner AfD: über 27 Prozent. Zudem war Beatrix von Storch bis zum Herbst 2017 Landesvorsitzende. Dies kann laut der Studie aber über eine Tatsache nicht hinwegtäuschen:

„Frauen lassen sich offenbar gut instrumentalisieren hinsichtlich eines Imagewandels für rechtspopulistische Parteien, haben aber – bis auf wenige Ausnahmen – selten große Wirkmacht in den Parteien“, erklärt Stefanie Elies.

Rechte Parteien punkten bei Frauen durch Familienpolitik

Rechte und rechtspopulistische Parteien sind sich ihrer weiblichen Wählerschaft bewusst, denn „neben Migrations- und Anti-Flüchtlingspolitik ist die Familienpolitik das größte Einfallstor für Rechtspopulisten, um ihre Vorstellungen von Gesellschaft voranzutreiben.“ Gezielt würden rechtspopulistische Parteien die Familienpolitik nutzen, um rechte Positionen zu normalisieren.

„Fast alle der untersuchten Parteien, wollen zum Beispiel die reproduktiven Rechte von Frauen einschränken, bieten aber gleichzeitig finanzielle Unterstützungsangebote für Mütter und Familien“, sagt Stefanie Elies. Diese Antworten auf soziale Fragen scheine für Wählerinnen attraktiv zu sein. Der Verlust weitreichender Rechte werde – wissentlich oder unwissentlich – in Kauf genommen.

Welche Rolle die Frau in der Familienpolitik zukommt, zeigt sich laut der FES-Studie mit einem Blick ins Grundsatzprogramm der AfD – da heißt es: „Ein falsch verstandener Feminismus schätzt einseitig Frauen im Erwerbsleben, nicht aber Frauen, die ‚nur‘ Mutter und Hausfrau sind.“

Diese Frauen würden eine geringere Anerkennung erfahren und finanziell benachteiligt. Die Autorinnen und Autoren der Untersuchung kommen zu dem Schluss, dass – ginge es nach dem Willen der AfD – derzeitige Regelungen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufgelöst werden: In der Familienpolitik sollen jene Frauen im Vordergrund stehen, die Sorge- und Erziehungsarbeiten leisten und ihre beruflichen Wünsche zurückstellen.

Versäumnis der Parteien

Zur aktuellen Gleichstellungspolitik stellte vor zwei Jahren die AfD-Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst in einer Bundestagsdebatte zum Weltfrauentag folgenden Vergleich an: Die strukturelle Benachteiligung von Frauen hätte sehr viel mit dem Berggeist Yeti gemeinsam, denn „jeder spricht darüber, aber noch niemand hat ihn ernsthaft gesehen.“

Mehr noch: Für sie sei die aktuelle Geschlechterpolitik ein Gleichstellungstotalitarismus. Ein weiteres Thema ist laut Bianca Klose die Gewalt an Frauen: „Es ist sehr emotional, wodurch es sich gut zur Stimmungsmache eignet“, erklärt sie und fügt hinzu: Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten thematisieren es jedoch nur, wenn Übergriffe oder Gewalt von geflüchteten Männern ausgeht und sich gegen weiße Frauen richtet.“

Geschlechtergerechtigkeit, Antidiskriminierung und Gleichstellungspolitik sind gesellschaftliche Grundwerte und sind nicht verhandelbar.

Stefanie Elies

Wenn sexualisierte Gewalt von deutschen Männern ausgeht, werde sie hingegen  verharmlost, entschuldigt und unsichtbar gemacht. In diesem Zusammenhang sprechen die Autorinnen und Autoren der Studie auch von einem Versäumnis der anderen Parteien, demnach scheinen „antifeministische Positionen weniger als Grenzüberschreitung wahrgenommen zu werden als rassistische und rechtsextreme.“

Völkische Weltsicht in scheinbar harmlosen Kontext

Das gebe der AfD die Möglichkeit, ihre völkische Weltsicht in einem scheinbar harmlosen Kontext der Geschlechter- und Familienpolitik zu verbreiten. Progressive Parteien sollten antifeministische Positionen klar benennen, damit Rechte nicht die Chance erhalten, die Grenze des Sagbaren zu verschieben.

Zudem seien parteiübergreifende Zusammenschlüsse und inhaltliche Positionierungen gegenüber rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien sowie wirksame Gegenstrategien vonnöten. So wird für Stefanie Elies eines deutlich: „Geschlechtergerechtigkeit, Antidiskriminierung und Gleichstellungspolitik sind gesellschaftliche Grundwerte und stehen nicht zur Disposition.“

In einem neuen Band „Triumph der Frauen II“, der 2020 erscheint, weitet das Forum Gesellschaft und Politik der Friedrich-Ebert-Stiftung seine Untersuchungen auf neueLänder aus. So nehmen die Autorinnen und Autoren jüngste Entwicklungen der Zustimmung von Frauen zu rechtspopulistischen Parteien und Positionen in Österreich, Italien und Brasilien in den Blick sowie im Kontext des Brexit. Dabei legen sie ein besonderes Augenmerk auf Gegenstrategien.

Autor:in

Sebastian Thomas

Redakteur der BERLINER STIMME und des vorwärtsBERLIN